Das Licht in der Kälte
2021-12-25

Weiße Weihnachten wünsche ich mir schon seit ich ein kleines Mädchen bin, doch heute ist es das letzte, was ich will.

Es war die Nacht vor Weihnachten. Morgen war der Tag der Freude und Festes, der Familie und Freunden, der Leckereien und Liedern, doch keines davon würde ich morgen miterleben. Eigentlich sollte ich um diese Uhrzeit im warmen Bett zuhause liegen, schön eingekuschelt und sicher fühlend, stattdessen renne ich eine verschneite und verlassene Straße in Wien entlang. Ich war durchgefroren bis auf die Knochen und hatte Mühe, mich auf den Beinen zu halten.

Als meine Eltern bei einem Autounfall starben, war ich gerade mal acht Jahre alt. Daraufhin nahm meine gutmütige Oma mich bei sich auf… meine Oma. Sie war der gutmütigste und liebevollste Mensch den ich kannte. Ich komme gerade vom Krankenhaus zurück, mit der Nachricht, dass sie nicht mehr unter den Lebenden verweilt. Als ich das realisierte, dachte ich, mein Herz müsse in tausend Stücke zerbrechen und Tränen steigen mir in die Augen. Die Tränen bilden sich zu einem Bach, der mir die Wange runterläuft. Ich wische sie mit meiner nassen Jacke ab, ich will nicht weinen.

Meine Beine zittern und ich biege in einen schneebedeckten Park ab. Die Wiesen haben Ähnlichkeit mit dem Nordpol, die Gehwege sind zugefrorenen und altertümliche Straßenlaternen spenden fahles Licht. Ein paar Meter vor mir steht eine Bank, 

kaum sichtbar wegen dem vielen Schnee. Mit letzter Kraft lasse ich mich auf die Bank fallen und lege mich hin. Die Bank ist nass, doch das ist mir egal, immerhin wird man meine Tränen darauf nicht erkennen. Meine sonst so schönen, langen Haare sind ein Wischmopp. Mein sonst so lebensfreudiges Gesicht sieht gerade genauso aus wie ich mich fühle. Ich friere bis auf die Knochen und meine Finger und Zehen sind taub. Mit dem Gewissen, dass dies mein letzter Atemzug ist, schließe ich meine verweinten Augen. 

,,Ach du meine Güte, Liebes!’’

Habe ich schon Halluzinationen? Ich öffne langsam meine nassen Augen und vor mir steht ein Engel, bin ich tot? Ich kneife meine Augen zusammen und erkenne, dass vor mir kein Engel, sondern eine Frau mittleren Alters steht. Sie trägt eine weiße Winterjacke und eine braune Winterhaube und sieht mich mit einem entsetzten Blick an. 

,,Was machst du hier draußen bei diesem Wetter und um diese Uhrzeit’’?, fragt sie mich sanft.

Ohne ein weiteres Wort zieht sie ihre Winterjacke aus und legt sie mir um. Jetzt steht sie nur noch in einem Weihnachtspullover da. Ich will schon widersprechen, doch meine Lippen lassen keinen Ton raus. Blitzschnell zieht sie ein Smartphone aus ihrer Hosentasche und tippt etwas energisch ein. Ich höre die Mailbox. Die Frau starrt verzweifelt auf den Bildschirm und wählt erneut die Nummer und jetzt hebt jemand ab.

,,Hier Angelina Lotess, hier im Stadtpark befindet sich ein komplett durchgefrorenes Mädchen, bitte kommen Sie schnell, es geht um Leben und Tod.’’

Angelina schaltet ihr Smartphone aus und schaut sich um, ich schließe meine Augen und höre sie nur rufen: ,,Bitte Hilfe, HILFE!’’ Doch der Hilferuf schlägt fehl.

Wäre mir nur nicht so kalt. Die Kälte ist unerträglich.

 Ein Zittern durchläuft mich und lässt mich noch zitternder zurück. Wie lieb es Angelina auch gemeint hat, die Jacke hilft leider sehr wenig. Ich spüre, wie mir eine Hand etwas Brennheißes in meine Finger schließt. Ein Keuchen entweicht mir und ich öffne meine Augen. In meiner Hand ruht ein kleines Wärmepad und meine andere Hand nahm gerade Angelina in ihre warmen Hände, aber auch sie schien zu frieren. 

Ich weiß nicht, wie lange wir so verweilen, doch irgendwann kann ich nicht mehr, 

mir ist so kalt. Angelina flüstert mir immer wieder aufmunternde Worte zu.

,,Jetzt sollten sie gleich da sein, bitte halte durch, Liebes.’’, flüstert sie sanftmütig. 

Meine Zehen und Hände sind taub, mein Hals brennt, mein Kopf pocht, ich weiß nicht, ob ich das noch eine Sekunde länger aushalte. Plötzlich war mir kaum noch kalt. Ich höre Angelina mir etwas zurufen, doch es hört sich an, als wäre sie weit weg. Das letzte, was ich sehe, sind rot-blaue blinkende Lichter und dann schließen sich meine Augen.

Ich erwache in einem warmen Bett. Zuerst bin ich verwirrt, weil ich nicht erkenne, wo ich gelandet bin, doch dann sehe ich ein vertrautes Gesicht neben mir, Angelina. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, doch bevor ich irgendetwas sagen kann, beginnt sie zu reden.

,,Es tut mir leid wegen deiner Großmutter, die Krankenpflegerin teilte es mir vorher mit.’’, flüstert sie sanftmütig.

,,Ist schon in Ordnung.’’, sage ich und merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen: ,,Ich weiß nur nicht, wie es jetzt weitergeht.’’

,,Darum habe ich mich schon gekümmert.’’, sagt sie lächelnd.

Ich blicke auf: ,,Wie meinst du das?’’

,,Ich arbeite in einem wundervollen Kinderdorf, mit Kindern, denen es genauso geht wie dir. Es ist alles schon abgesprochen mit der Versicherung, etc. Wir würden uns sehr über ein neues Familienmitglied freuen.’’, antwortete Angelina voller Freude.

Zuerst sitze ich da und weiß nicht, was ich sagen soll, aber dann schließe ich Angelina in meine Arme und flüstere: ,,Danke, danke, danke, danke, danke.’’

Jetzt schaffe ich es wirklich nicht mehr, die Tränen zurück zuhalten, doch dieses mal sind sie vor Freude.

Text (c) by Frieda

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